Die Geschichte eines gescheiterten Projekts
Dieser Beitrag soll diesmal etwas ganz anderes werden – lasst mich euch von der Geschichte eines Projektes erzählen, das mich viel Zeit und Nerven gekostet hat.
Die Anfänge
Vor vielen Jahren hatte ich die grandiose Schnapsidee, mir ein zweites Standbein mit YouTube aufzubauen – ja, ich war viel zu jung und idealistisch. Meine Videos schnitt ich mit Cinelerra, dessen enormer Funktionsumfang und Performance auf älterer Hardware mir sehr gelegen kamen. Schon damals fiel mir die unzeitgemäße Webseite des Projekts auf, die in meinen Augen der Software nicht gerecht wurde. Diese war nicht auf mobile Geräte ausgelegt und bestand lediglich aus endlosen Blöcken von Text auf einem weißen Hintergrund.
Als kleine Notlösung und um die Community nicht gleich mit etwas völlig Neuem zu überfordern, wandelte ich diese Seite mit Hilfe von Yahoo’s PureCSS auf ein semi-modernes Design um. Die Inhalte und das Seitenlayout wurden großteils beibehalten, aber das Projekt war nun endlich auch mobil zu erreichen und wurde von Google nicht mehr so hart im Ranking abgestraft.
Das sollte jedoch immer eine Notlösung bleiben. Der Seite fehlt bis heute
- eine klare, zusammenfassende Menüstruktur
- SEO-Optimierung
- Grafiken zur Auflockerung des umfangreichen Inhalts
- moderne Interaktionsmöglichkeiten
- und eine konsistente Typographie.
Probleme – und ein neues Konzept
Bei einem Projekt, das mir so am Herzen lag wie Cinelerra, wollte ich von Anfang an alles richtig machen. Dazu gehörte ein Konzept, um die Seite gegenüber der Konkurrenz abzuheben und im Suchmaschinen-Ranking möglichst weit oben zu landen.
Ich entwickelte ein Design, das die 14 Menüpunkte der aktuellen Seite auf sechs wesentliche Kernaspekte zusammenfasste:
- Wer sind wir?
- Was gibt es Neues?
- Wo bekomme ich die Software?
- Was haben andere schon damit produziert?
- Ich will mitentwickeln!
- Ich brauche Hilfe!
Des weiteren war von mir eine Erweiterung der bisherigen Funktionalität geplant. Das Projekt arbeitet nur über eine Mailingliste. Alle Entwickler und Nutzer schicken sich regelmäßig E-Mails um neue Funktionen, Fehler und alles andere rund um das Projekt zu besprechen. Diese Mailingliste kann nicht komfortabel durchsucht werden und ist nur für diejenigen benutzerfreundlich, die seit Jahren aktiv am Projekt teilnehmen, eingeschrieben sind und ihr Mailprogramm für die Ansicht benutzen.
Meine Idee war daher die Integration eines Forums, um eine jüngere Zielgruppe anzusprechen, sowie die Installation eines Bugtrackers, um jederzeit sehen zu können, auf welchem Stand das Projekt momentan ist. Bisher pflegte jeder Entwickler seine eigene, persönliche Fehlerliste, in welche die Community keine Einsicht hat.
Darüber hinaus verwendete ich für das Seitendesign die wesentlichen Kernfarben des Programms (eine Abstufung von Grautönen). Ein anderer Designer (Sam) half mir dabei, das gnadenlos gealterte Logo des Projektes gegen eine moderne Variante auszutauschen.
Das Logo war immer einer der größten Kritikpunkte gewesen, die ich an dem Projekt hatte. Die “Heroine”, eine per Hand gescribbelte, nackte Frau stellte seit Jahren das Maskottchen von Cinelerra dar. Von Anfang an hatte dieses Logo keinen Bezug zu einer Videoschnittsoftware – bis auf einen kleinen Filmstreifen, der nicht einmal in allen Varianten des Logos auftaucht.
Ursprünglich entstammte dieses Logo einer Vereinigung für Frauen in Ingenieur-Berufen. Es wurde also einfach geklaut. Für mich war klar: Das Logo musste weg. Sam’s Neuentwicklung mit einem Kamera-Shutter als Bildelement stellte endlich einen Bezug zur Software her und war die ideale Lösung für das Projekt.
Der Widerstand
Schnell stellte sich heraus, dass die Community – bzw. die aktivsten Mitglieder dieser Gemeinschaft – überhaupt kein Interesse an zusätzlicher Funktionalität oder einer visuellen Modernisierung ihres Projektes hatten. Einige wenige Mitglieder der Community lobten mein neues Design – die Kritik war jedoch überwältigend.
Ein Entwickler war der Meinung, er würde Bugtracker und Forum niemals nutzen. Seine eigene Todo-Liste sei bereits groß genug.
May be I visit them out of curiousity.
Ein weiteres Mitglied schwörte gar die Apokalypse und den Zusammenbruch des Projektes herbei:
Yes, welcome to chaos: duplication of messages, fragmentary messages, incomplete information in reports, unanswered messages and reports
Dass ein Nutzerforum eine Suche und eine Kontaktmöglichkeit für Nutzer untereinander bieten würde, kam leider gar nicht zur Sprache.
Auch wenn mich diese negative Grundeinstellung bereits etwas frustrierte, wollte ich nicht aufgeben. Auf den Bugtracker könnte das Projekt notfalls verzichten, das Forum würde ich auch selbst moderieren – oder eventuell Mitglieder aus der Community.
Die Modernisierung des Logos stellte sich dann überraschenderweise als völlig unlösbare Aufgabe dar. Ich war nicht bereit, mein modernes Design durch eine schlecht aussehende, nackte Frau abzuwerten.
Für andere war dies wiederum eine Grundvoraussetzung:
Where is the woman then naked? What about athletes and dancers, is the sight of them a danger to young people?
In einer recht langen E-Mail erklärte ich, aus welchen Gründen mir das Logo für das Projekt ungeeignet erschien:
Please don't see this as a personal insult, but: Sorry, that still looks terrible. It's a typical workaround I come across very often in the design industry. A customer doesn't want to spend money for a redesign of the logo (or they're just stubborn and don't want to change their own ways), so they come up with: - fancy images for the background - dropshadows - slight tilting It doesn't change anything for the better. Let me tell you why this logo is bad: 1. The typography consists of three different fonts. This is very inconsistent in itself, as if the designer just mashed together everything he had on hand and it shows. Doing this results in a logo that is perceived as cheap. Using one, MAYBE two different typefaces in a logo design is one of the major rules we must not break. 2. The typography sticks to the logo. There is no space between the visual image and the text. This is not a good design. There must be a clear distinction between the visual element and the typography. 3. The logo does not scale well. If this logo is going to be displayed as a favicon or an app icon it will be too small to see what is going on. 4. The star background is unneccessary The original CV logo consists of a lot of thin lines. Perceiving it in its original form is already hard enough on the eyes. With an unsettled background like stars it gets even harder to see. Also: Designing a logo with an image in the background will always result in it being a rectangle wherever we put it. If you put this logo next to logos from other companies (or even the one from GG we have on the new website right now), it will instantly look like garbage. Companies and projects mostly take great care to use transparency and various geometric shapes on top of that for their own logo designs. We throw away this opportunity with a design like this. I propose throwing the green naked hulk where it belongs: In the trashcan.
Die Antwort darauf folgte prompt:
Are you a professional? Then try to redraw it. Only this option is available.
Ein Abstecher in Coding-Politik
Ich bin selbst kein großartiger Coder. Abgesehen von grundlegendem PHP-Wissen bin ich nicht wirklich gut. Was mir bei diesem Projekt jedoch von Anfang an auffiel, war, dass neue Mitglieder nur sehr zögerlich akzeptiert wurden.
Vor zwei Jahren stieß ein Entwickler (Good Guy) zum Projekt dazu, der durch seine eigenwillige Arbeitsweise (tagelang an Features arbeiten und notfalls auch mal etwas für eine neue Funktion kaputtmachen) bei den anderen Entwicklern schnell in Ungnade fiel. Good Guy fiel mir jedoch schnell sehr positiv mit seiner fortschrittlichen Einstellung auf. Wann immer jemand neue Programm-Designs (“Themes”), Sprachdateien oder Grafiken einsandte, wurden diese prompt von Good Guy in seine eigene Version des Programms integriert.
Über die letzten zwei Jahre kreierte Good Guy somit ein Programm, das:
- optisch ansprechend aussieht
- mit aktuellen Video- und Audioformaten arbeitet
- von allen Cinelerra-Versionen die meiste Funktionalität bietet
- ab und zu leider Bugs aufweist
Bei der ganzen Diskussion rund um das Logo zeigten einige nun ihr wahres Gesicht und ihre Abneigung gegenüber dem besseren Coder. Demjenigen, der sich einfach nicht an die guten, alten Regeln halten kann:
William Morrow aka GoodGuy came to this community in Jan. 2016. This community already had established rules, style and traditions. [...] These are good rules. These rules provide a future for Cinelerra (for any branch). [...] Does anyone from the developers like GG's coding workflow ? I guess (these are only my assumptions and guesses) no one.
Ein anderer Entwickler schrieb es sogar noch etwas deutlicher, nachdem ich meinen Wunsch äußerte, das Projekt lieber auf meiner eigenen Domain weiterzuführen, anstatt mich weiter zu streiten:
This is the best solution. [So] he does not break working solutions just for fun.
Ab diesem Zeitpunkt dämmerte mir langsam, dass ich mit den Mitgliedern und Entwicklern hier niemals einen Konsens erreichen würde. Jeder hier hatte seinen Standpunkt und arbeitete seit Jahren auf eigene Weise an diesem Projekt. Dazu kam ein Neid auf eine neue Person, die das Projekt plötzlich im Rekordtempo vorantrieb, ohne sich an die bisherigen Regeln zu halten.
Das Hauptprojekt hat unter anderem durch diese restriktiven Regeln in diesem Jahr gerade einmal 8 kleine Code-Änderungen erhalten. In meinen Augen ist es tot. Es wieder relevant zu machen und auf eine neue Bahn zu lenken, kann ohne geänderte Arbeitsweisen und einen Geist, der offen für Neues ist, leider nicht funktionieren.
Die Moral von der Geschichte
Ich habe noch nie an einem Webprojekt gearbeitet, dass mich so sehr frustriert hat wie die Community von Cinelerra-CV. Die toxische Einstellung gegenüber allem neuen erlebe ich nicht einmal bei kommerziellen Projekten meines Arbeitgebers. Während ich diese Diskussion führte und dabei unweigerlich negative Emotionen aufkamen, hatte ich kurz den Gedanken, nie wieder aus Idealismus und ohne Bezahlung an einem Projekt mitzuarbeiten.
Jetzt wo ich wieder etwas klarer denken kann, ist das allerdings Blödsinn.
Bei Cinelerra-CV handelt es sich nur um ein extremes Negativbeispiel. Ich werde auch weiterhin an sehr emotional belohnenden Projekten wie die Hirnschwund Community oder die Fanseite zu Independence War arbeiten.
Cinelerra-CV kehre ich nun allerdings den Rücken. Ich wünsche dem Projekt alles Gute für die Zukunft – ich selbst habe jedoch jegliche Lust verloren, noch irgendetwas für dieses Projekt zu machen. Immerhin – das ursprünglich geplante Design für die neue Seite lebt nun in diesem Blog weiter. ❤
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